Gavin liebt Hank. Hank ist sein Mentor, sein Held. Er ist die warme Jacke, die er ihm über seine Schultern gelegt hatte, als er zum ersten Mal einen Toten gesehen hatte. Er ist die helfende Hand, wenn ein Fall zu schwer würde. Die starken Arme, die ihn zurückhalten, wenn er wieder einmal zu aufbrausend wurde. Hank ist immer für ihn da. Jedem im Revier ist die familiäre Zuneigung, die Gavin und Hank einander zeigen, bekannt.
Bei jedem einzelnen seiner Schritte war Hank dabei gewesen. Als Captain Fowler ihn von der Straße geholt hatte, nachdem er beinahe gestorben war, um ihm eine Möglichkeit zur Ausbildung bei der Polizei anzubieten, war Hank da um ihn unter seine Flügel zu nehmen. Als er die Polizeiakademie mit einem ausgezeichneten Zeugnis abschloss, legte Hank stolz die Hand auf seine Schulter. Als Thanksgiving war, war Hank sogar bereit, ihn zu seiner Familie nachhause einzuladen. Cole liebte Gavin, natürlich tat er das, er war wie der coole größere Bruder für seinen süßen kleinen Bruder, den er nie gehabt hatte. Jeden Tag auf der Arbeit sah Gavin zu Hank auf. Seine Arbeit in der "RED ICE Task Force" war unersetzlich, seine Beförderung zum Lieutenant kaum erstaunlich. Jeder wusste, wer Hank Anderson war und was er konnte. Er war einer der besten Polizisten und niemand konnte es abstreiten. Aber er war nicht nur einer der besten Polizisten, sondern auch einer der besten Ausbilder. Väterlich und freundlich, aber auch realistisch und ehrlich.
Donnerstag, 11. Oktober – Ein Lastwagen rutschte auf einer Eisdecke und überrollte Hanks Auto. Cole musste sich einer Notoperation unterziehen und wurde von einem Android operiert, weil kein Mensch verfügbar war, aber trotz seiner Bemühungen verstarb Cole im Alter von sechs Jahren. Hank sieht zwei klare Schuldige: Androiden und RED ICE. Der Chirurg war zu high gewesen, um seinen Sohn operieren zu können und der Android hatte versagt.
Freitag, 12. Oktober – Hank kommt trotz der Empfehlung zuhause zu bleiben zur Arbeit. Er ist acht Stunden zu spät, eigentlich hätte er Frühschicht gehabt, aber sogar zur Spätschicht ist er nun zu spät. Gavin hatte bereits den ganzen Tag auf ihn gewartet. Er wusste nicht, was er sagen sollte, auch nicht, als er den ihm sonst so vertrauten Mann durch die Tür taumeln sieht. Am liebsten würde er einfach zu ihm gehen und ihn umarmen. Aber seine Beklommenheit und Betroffenheit hält ihn davon ab. Alle anderen seiner Kollegen bleiben sitzen, mustern Hank aus Seitenblicken, tuscheln hinter seinem Rücken, doch Gavin steht als einziger auf und nähert sich ihm, nachdem er an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte.
Hank sitzt zusammengesunken auf seinem Platz, seine Augen eingefallen, seine Mine starr, während er in sein Terminal starrt, das nicht eingeschalten ist. Seine Hände sind vor ihm zu Fäusten geballt. Er wirkt kraftlos und schwach. Ganz anders als ihn seinen Kollegen sonst immer erleben. Gavin ist sich sicher, er möchte nicht darüber sprechen. Also versucht er es mit einem absoluten Lieblingsthema von Hank, Fälle, die trotz oder in seltenen Fällen sogar wegen der Inkompetenz anderer gelöst worden waren.
"Guten Morgen, Hank, auch gehört, dass Miller bei der RED ICE-"
"Halt einfach dein verficktes Maul, Reed!"
"Hank, hey, ich verstehe-""Du verstehst? Was willst du bitte verstehen? Du hattest nie eine richtige Familie und du wirst sie auch nie haben Reed, verzieh dich einfach."
Gavin spürt, wie er wütend wird. Er weiß, dass er sich zurückhalten sollte, dass Hank diese Dinge nur sagte, weil er selbst verletzt war, aber verdammt, diese Worte taten weh. Seine Hände zittern, also ballte er sie zu Fäusten, während er provokant direkt in Hanks wutverzerrtes Gesicht sieht. Wütende, leicht wässrige grüne Augen treffen auf hasserfüllte, blutunterlaufende eisblaue Augen. Einen kurzen Moment verspürt er ein Zögern, er kann sich noch zurückhalten, noch war es nicht zu spät, aber dann sah er das hämische Grinsen, das sich auf Hanks Lippen gelegt hatte und es war wobei. Hätte er auch nur eine Sekunde länger hingesehen, hätte er den wahren Schmerz hinter diesem Lächeln erkannt, aber Gavin hatte noch nie ein besonderes Talent in Zurückhaltung. Eine Sache, die er mit Hank gemeinsam hat."Fuck off, Anderson, ich rede verdammt nochmal mit dir!"
"Wann wird es dann endlich bei dir ankommen, dass es mich einen Scheiß interessiert? Wenn du nicht bald dein Maul hältst, stopfe ich es dir."
"Dann tu es doch einfach, alter Mann!"Hank richtet sich auf und in einer Geschwindigkeit, die man ihm sonst wohl kaum zutrauen würde, greift er sich Gavin am Revers und presst ihn gegen die Glaswand, die Hanks Schreibtisch vom Durchgang daneben abschnitt. Er lehnt sich nach vorne und kommt Gavin gefährlich nahe, so dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berühren.
"Pass auf Arschloch. Wenn es nach mir ginge, wärst du jetzt gar nicht hier, renn also Fowler hinterher, wenn du jemanden nerven willst, sonst vergesse ich mich noch."
Gavin zieht die vernarbte Nase kraus, als ihn Hanks Atem trifft. Alkohol. Gavin hasst Betrunkene. Er trinkt Alkohol, aber er weiß einfach, wann er aufhören sollte. Er ist der Typ, der gerne die Kontrolle hat, und Alkohol nimmt ihm diese nur weg. Aber es ist mehr als das, denn er will Hank einfach nicht so sehen. Er will nicht glauben, dass sein Mentor nicht die Kontrolle hat. Er will daran glauben, dass Hank genau weiß was zu tun ist, denn er weiß es nicht. Er hat keine Ahnung wie er ihm helfen soll und er ist verzweifelt, also versucht er es, indem er ihn einfach schockiert. Er möchte Hank einfach nur wachrütteln. Bitte, komm einfach wieder zurück.
"Phck, bist du betrunken? Was kommt als nächstes, RED ICE aus dem Beweisarchiv?"
Im selben Moment, als Gavin die Worte gerade noch ausspricht, weiß er, dass er einen Fehler gemacht hat, aber er kann sie nicht mehr zurücknehmen. Was auch immer passiert war, niemand kennt noch die Details, dazu ist alles noch zu frisch, aber Gavin weiß, er hatte definitiv einen Nerv getroffen.
Hank lässt ihn los und tritt zurück. Im ersten Moment rechnet Gavin damit, gleich eine Faust ins Gesicht zu kassieren, doch dann zieht Hank seine Dienstwaffe und richtet sie direkt auf Gavins Stirn. Gavin steht noch immer an die Glaswand gedrückt. Keine Möglichkeit auszuweichen, während Hank die Waffe entsichert. Gavin vergisst zu atmen.
"Hank, bitte-"
"Du bist nicht mein Sohn."
Ungläubig starrt Gavin in den Lauf der Schusswaffe von Hank. Hank, der einfach nur Cole zurückhaben möchte, weil er nicht einmal die Anwesenheit von Gavin ertragen kann. Hank, der ihm fest in die Augen stiert. In einer erschütternden Sekunde, in der das gesamte, zusehende Revier den Atem anhält, ist sich Gavin nicht sicher, ob Hank nicht einfach abdrücken würde und schlimmer noch, er kann ihn verstehen, in diesem Moment. Nicht einmal seinen eigenen Eltern war er genug gewesen, wie könnte er jemals Hank genug sein? Hank, der seinen richtigen Sohn verloren hatte. Er ist wie erstarrt, während Hank die Waffe langsam wieder senkt, sie sichert, sich ohne ein weiteres Wort an Gavin vorbeidrängt und aus dem Revier stürmt. Niemand kommt zu Gavin, der noch immer alleine dort steht. Seine Kollegen schauen weg, beobachten ihn mit Seitenblicken oder beginnen wieder zu tuscheln. Später, fern von den Blicken aller, bricht er weinend in einer vollen Panikattacke am Klo zusammen.
Gavin hasst Hank. Hank ist sein Alptraum, sein Feind. Er ist der stinkende Geruch des Alkohols, der ihn immer zu begleiten scheint. Er ist die harschen Worte und die Beleidigungen. Er ist die Dienstwaffe, mit der er ihm gedroht hatte. Aber am meisten von allem, ist Hank jemand, den Gavin verloren hatte. Auch mit dem Rest seiner Kollegen gibt er es irgendwann auf, es war zu spät, er hatte alles zerstört. Wie alles sonst in seinem Leben. Jedem im Revier ist die abgrundtiefe Feindseligkeit, die Gavin und Hank einander zeigen, bekannt.
